WEM DIE TüREN IN ÖSTERREICH OFFEN STEHEN SOLLTEN

Was treibt junge Menschen an? Wie sehen sie die Welt? In seiner Reihe „Wir sind nicht so!“ sucht Autor Robert Schneider das Gespräch mit Jugendlichen. Jüngst traf er Aid Keranovic.

Er weiß, dass er gut aussieht, der groß gewachsene junge Mann, der mir gegenübersitzt. Als ich ihn danach frage, grinst er. Der 17-jährige Aid Keranovic, dessen Eltern aus Bosnien stammen, wurde in Vorarlberg geboren und ist in Höchst aufgewachsen. Er ist sozusagen ein Enkelkind jener Generation von Arbeitern, die „Gastarbeiter“ genannt wurden. Sein Opa kam noch lange vor dem Balkankrieg nach Vorarlberg, arbeitete hier hart, erschuf sich eine Existenz, um später seine Familienangehörigen zu sich zu holen. Gleichzeitig besitzt er noch ein Haus in Bosnien, das er mit viel Eigenleistung instand hält, wie es viele seiner Generation tun.

Die Urlaube waren ausschließlich dazu da, in der alten der Heimat eine sichere Bleibe für das Altenteil zu schaffen. Doch der Krieg hat viele dieser Bemühungen in Ruinen verwandelt. Noch heute, wenn Aid durch die Heimatstadt seiner Eltern fährt, erzählt er, sehe man in gewissen Straßenvierteln die Einschusslöcher der Granaten im Mauerwerk der Häuser. Er selbst habe gar keine Erinnerungen an den Krieg. Den kenne er nur aus Erzählungen. Vom Hörensagen.

Robert Schneider: Woher genau, Aid, stammen Ihre Eltern?Aid Keranovic: Sie kommen beide aus Bihać. Das ist eine Stadt im Nordwesten von Bosnien, an der Grenze zu Kroatien.

Ihre Eltern haben den Jugoslawien-Krieg wohl noch erlebt, oder?

Meine Mutter nicht, die kam ein Jahr vor dem Krieg nach Vorarlberg, aber mein Vater schon. Er war vierzehn, als dann 1995 der Krieg vorbei war.

Und kennengelernt haben sich beide in Bihać?

Ja, weil mein Opa jedes Jahr im Sommer mit seiner Familie nach Bosnien gefahren ist.

Was arbeiten Ihre Eltern?

Mein Vater ist Kfz-Mechaniker bei Opel-Natter in Hörbranz und meine Mutter arbeitet bei der Firma Alpla im Büro. Irgendwas mit Logistik.

Sie besuchen in Dornbirn das BORG-Schoren und haben gerade die siebte Klasse abgeschlossen. Alles gut gegangen? Kein Nachzipf?

Yop! Alles gut gegangen.

Wollten Ihre Eltern, dass Sie aufs Gymnasium gehen?

Mein Vater sagte immer zu mir: Du musst schauen, dass du die bestmögliche Allgemeinbildung bekommst. Meinetwegen kannst du später auf der Straße arbeiten, aber Bildung ist wichtig. Nur so kommst du wirklich weiter.

Obwohl Sie hier aufgewachsen sind, sprechen Sie keinen Vorarlberger Dialekt. Wieso nicht?

Bei uns zuhause wurde immer bosnisch gesprochen. Auch mit meinem kleinen Bruder rede ich bosnisch. Aber ich spreche beide Sprachen sehr gut. Meine Lehrer haben mich immer gelobt, dass ich angeblich so schön Hochdeutsch spreche.

Fahren Sie mit Ihren Eltern oft nach Bihać?

Ja, in diesem Sommer werde ich wieder lange unten sein. Das Schöne ist, dass ich dort mit 10 Euro einen ganzen Abend lang klarkommen kann. Ich kann essen gehen, in die Disco. Es ist noch sehr billig. Ein Bier kostet 50 Cent.

Und dann nehmen Sie natürlich Ihr Motorrad mit, weil Ihr Lieblingsgenstand, den Sie mitgebracht haben, ein Motorradhelm ist.

Ich habe den Auto- und den A1-Führerschein gemacht. In Bosnien habe ich ein Motocross. Da bin ich schon als Kind Motocross gefahren. Natürlich nicht auf der Straße, sondern im Gelände. (Das Handy von Aid leuchtet auf. Er fragt höflich, ob er kurz rangehen darf, ignoriert dann aber den Anruf. Nichts Wichtiges. Nur der Tanzkurs.)

Sie besuchen einen Tanzkurs?

Bosnischer Volkstanz. In Bregenz. Wir haben da drei Gruppen: Kinder, Teenager wie ich und ältere Menschen. Also ab 40. Vor kurzem hatten wir einen Auftritt in Lustenau beim „Markt der Kulturen“. Da konnte ich leider nicht dabei sein.

Was sind das für Tänze?

In Bosnien gibt es je nach Region sehr unterschiedliche Volkstänze. Zum Beispiel in der Krajina, wo wir herkommen, sind es mehr die bäuerlichen Tänze.

Wissen Sie schon, was Sie nach der Matura machen wollen?

Ich möchte Medizin studieren. Das ist ein Kindheitstraum. Mein Cousin hat Medizin studiert und mir immer interessante Sachen davon erzählt.

Welche Art von Medizin?

Schönheitschirurgie. Das würde mich sehr reizen. Ich finde es unglaublich spannend, was zum Beispiel die plastische Chirurgie heute schon leisten kann. Das ist echt ein Wahnsinn.

Das Gamen an der Konsole frisst bestimmt auch viel von Ihrer Freizeit, oder?

Früher, ja. Jetzt nicht mehr. In der Corona-Zeit war das natürlich exzessiv. Shooter-Spiele. Da habe ich „Fortnite“ rauf und runter gespielt! Jetzt habe ich aber einen Zweier-Golf GTI 16V, den ich gebraucht kaufen konnte. An dem schraube ich herum, gemeinsam mit meinem Papa. Da setzen wir uns dann an einem Freitagabend zusammen und schauen, was wir da noch machen können. Das macht extrem Spaß.

Haben Sie eine Freundin, darf man fragen?

Mittlerweile nicht mehr. Ich bin solo.

Aber Ihnen fliegen die Herzen bestimmt zu.

Ja, in dem Punkt tue ich mir nicht so schwer. Wenn man groß ist, ist es natürlich noch leichter. Aber ich bin da ziemlich entspannt. Es kommt schon die Richtige.

Wo würden Sie sich politisch gesehen einordnen?

Weder rechts noch links. Ich selbst bin Moslem, aber ich finde es nicht in Ordnung, dass Moslems, die nach Österreich kommen, hier ein Kalifat oder die Scharia einrichten wollen. Da denke ich mir: Ihr kommt nach Österreich, wollt hier Arbeit und ein besseres Leben haben, und dann versucht ihr genau das aufzubauen, was in eurem Land nicht funktioniert. Wer allerdings von den Ausländern Österreich wirklich verbessern will, dem sollten die Türen offen stehen.

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