WIE DIE RELIGIONSFREIHEIT GRENZEN üBERSCHREITET

Es gibt viele Gründe, warum Menschen das Land verlassen wollen, in dem sie geboren wurden und aufgewachsen sind. Manche fliehen vor einem Krieg. Andere vor einem System, in dem Homosexualität oder Atheismus Gefahr für Leib und Leben bedeutet. In je zwölf islamischen Staaten wird man dafür mit dem Tod bestraft. Für manche hat es rein wirtschaftliche Gründe, weil sie kein Einkommen zum Auskommen finden. Anderen gefällt es einfach anderswo besser.

In den Zielländern gibt es Menschen, die bei Migration von einer „Einwanderung in die Sozialsysteme“ sprechen. Diese Formulierung ist im Regelfall nicht neutral gemeint, sondern unterstellt, dass die angesprochenen Sozialsysteme gezielt ausgenützt werden. Ganz nüchtern lässt sich jedenfalls feststellen, dass mit Migration zwangsläufig auch eine Aufnahme in die bestehenden Sozialsysteme verbunden ist. Genauso wertfrei können wir feststellen, dass es in einem Aufnahmeland auch eine Zuwanderung in ein bestehendes Religionssystem gibt. Im Fall von Österreich besteht dieses aus 16 gesetzlich anerkannten Kirchen und Religionsgesellschaften sowie elf religiösen Bekenntnisgemeinschaften.

Freibrief Religionsfreiheit

Diese 27 Staatsreligionen lassen sich zu einem guten Teil auf Kosten der Allgemeinheit durch Subventionen, Steuererleichterungen, Kostenübernahmen und andere Vergünstigungen aushalten. Das Konzept der Religionsfreiheit nützen sie, um das staatliche Neutralitätsgebot zu untergraben und Ausnahmen von allgemeingültigen Regelungen zu erwirken, etwa dem Zugang zum Bildungssystem, dem damit verbundenen Kreuzzwang in Schulen und Kindergärten oder der automatischen Übertragung des religiösen Bekenntnisses der Eltern auf die Kinder. Organisierte Religion legt Religionsfreiheit als Freibrief aus, ihren Glauben auch dort umzusetzen, wo er eigentlich keinen Platz hat.

Dieses historisch gewachsene System, das heute niemand mehr so aufbauen würde, setzt den Rahmen dafür, wie die Republik mit Religionen umgeht. Die daraus resultierende Praxis ist bestechend einfach: Was für eine Glaubensgemeinschaft würdig und recht ist, darf den anderen auf Dauer nicht vorenthalten werden.

Wenn es katholischen Religionsunterricht gibt, darf es auch buddhistischen geben.

Wenn Juden ihre Kinder beschneiden, dürfen es Muslime auch. Wenn es protestantische Militärbischöfe gibt, darf es auch Bundesheer-Imame geben. Wenn Sikhs auf Passfotos Turban tragen, dürfen es Atheisten auch? Nein, natürlich nicht. Ausnahmen werden, wie bei allen anderen Bestimmungen, die sich auf Religionsfreiheit stützen, nämlich nur für die Staatsreligionen gemacht.

An dieser Stelle grätschen Menschen, die irgendetwas mit Rechtswissenschaften studiert oder auch nur davon gehört haben, gern hinein und belehren, dass Ungleiches eben ungleich behandelt werden müsse. Die Ungleichheit leiten sie aus der willkürlichen gesetzlichen Unterscheidung von staatsreligiös anerkannten Gewissengründen von individuell selbstbestimmten Gewissensgründen ab. Das nennt man Zirkelschluss. Es gibt keine materiellen Unterschiede, sondern eine vom Gesetzgeber künstlich eingezogene Grenze zwischen manchen Religionen und anderen nicht religiösen und religiösen Weltanschauungen, die völlig Gleiches zu Ungleichem macht.

Die Willkürlichkeit dieser Unterscheidung setzt sich innerhalb der anerkannten Religionsgemeinschaften fort, wenn es für die Ungleichmacher opportun ist, speziell dann, wenn damit die korporatistischen und individuellen Vorteile des christlich-jüdischen Erbes eingekapselt werden wollen und damit anderen insbesondere immigrierten Bekenntnissen die gleichen Begünstigungen verwehrt werden.

Die Folge der Zuwanderung in das bestehende Religionssystem führt nicht nur zu einer Inanspruchnahme der damit verbundenen Vorteile – Subventionen, Zugang zu Bildungseinrichtungen, politische Mitsprache in diversen Gremien u. v. m. –, sondern auch zu einer Nutzung jener Freiheiten, die in liberalen Demokratien geschützt sind. Das Recht auf freie Rede, Ausdrucksfreiheit oder Demonstrationen kann auch dazu genützt werden, unter dem Motto „Free Palestine“ für die Hamas einzutreten oder ein Kalifat zu fordern, so wie gegen Abtreibung auf die Straße gegangen oder zu Fronleichnam prozessiert wird. Eine robuste Demokratie wird das alles verkraften. Schwer verkraftbar sind Entwicklungen wie im UK, wo mit Scharia-Gerichten – auch wenn die Urteile nicht rechtsverbindlich sind – das staatliche Gewaltmonopol in der Judikative aufgeweicht wird. In Reli­gionsfragen vermeidet der Rechtsstaat oft, seine eigenen grund­rechtlichen Regeln zu respektieren, und bekommt weiche Knie.

Während die europäischen Demokratien die christlichen Kirchen weitgehend erfolgreich unterworfen haben und sich ein halbwegs akzeptabler Modus Operandi einer säkularen Gesellschaft herausgebildet hat, der das Christentum weiter in die gesellschaftliche Bedeutungslosigkeit versenkt, nützen vor allem islamische Organisationen den Restbestand der kirchlichen Privilegien als Steigbügel und Trittbretter. Dass damit das gleiche Selbstverständnis einer praktisch gelebten Säkularität des Kulturchristentums verbunden ist, ist aber keineswegs gesagt. Gleiches muss trotzdem gleichbehandelt werden, und mit den Folgen muss man leben. Wem es etwa nicht passt, dass es islamische Erziehung in öffentlichen Schulen gibt, Kinder im Unterricht fasten und Mädchen nicht am Schwimmunterricht teilnehmen dürfen, der sollte vielleicht das verpflichtende Kreuz an der Wand, die Schulbeichte und theologische Fakultäten mit universitärer Übernatürlichkeit überdenken. 

So funktioniert das nicht

An dieser Stelle fühlen sich wieder jene rechtsgelehrten Zirkelschließer bemüßigt zu behaupten, der Islam wäre doch anders zu behandeln als das Christentum, schließlich handle es sich doch um andere Religionen. Aber so funktioniert das nicht in einem Staat, der sich weltanschaulich-neutral verhalten will und keine Wertung über die Inhalte einzelner Religionen vornimmt. Es gibt auch nur ein GmbH-Gesetz, obwohl alle Kapitalgesellschaften inhaltlich sehr verschieden sind. Genauso sollte es für alle Weltanschauungsgemeinschaften – egal, ob religiös oder nicht – nur eine gesetzliche Grundlage geben. Aus säkularer Perspektive reicht dafür auch das Vereinsgesetz.

Tatsächlich gibt es für das Problem einer multimoralischen Gesellschaft nur eine mögliche Lösung, größtmögliche Weltanschauungsfreiheit zu ermöglichen, und das ist die konsequente gesetzliche Gleichbehandlung jeglichen Formats einer ideologischen Gesinnungsgemeinschaft und der persönlichen Überzeugung. Die Zuwanderung in das in Österreich bestehende privilegierte Religionssystem unterbinden wir am besten damit, indem wir mit gutem Beispiel vorangehen, Laizität in die Verfassung schreiben und die politische Bevorzugung von Religion beenden. Nur so kann ein politisches Klima geschaffen werden, in dem der Schutz religiös geprägter Fehlentwicklungen nicht mehr toleriert werden muss. Wer kein Kalifat in Europa haben will, muss konsequenterweise auch das Konkordat lösen wollen.

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