VERTEIDIGUNG, ENERGIE, MIGRATION - „SCHäRFSTE KRITIKERIN DER DEUTSCHEN HALTUNG“: WO ES KNALLT, WENN LE PEN REGIERT

Sollte die Partei von Marine Le Pen bei der Wahl in Frankreich siegen, würde das Deutschland gleich mehrfach unter Druck setzen. In der Asyl- und Rüstungspolitik droht Ungemach. Dass Frankreich beim Stromnetz Deutschland den Stecker zieht, könnte sich aber als leere Drohung erweisen.

Unter deutschen Frankreich-Fachleuten wächst die Sorge, dass eine künftige französische Regierung unter der Führung der rechtsnationalen Partei Rassemblement National (RN) der Populistin Marine Le Pen schwere negative Auswirkungen auf das deutsch-französische Verhältnis und die EU haben könnte.

„Marine Le Pen ist eine scharfe Kritikerin deutscher Politik und das nicht erst seit gestern. Kriseln dürfte es in zahlreichen Bereichen, wie zum Beispiel Außen- und Sicherheitspolitik, aber auch Handel und Energie“, sagt Anja Czymmeck, Leiterin des Auslandsbüros Frankreich der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS). Das Centrum für Europäische Politik (CEP) warnt in seinem Juli-Newsletter sogar: „Sollte es dem RN unter Marine Le Pen und Parteichef Jordan Bardella gelingen, die absolute Mehrheit an Mandaten in der Nationalversammlung zu erringen, steht die gesamte EU auf der Kippe.“

Die EU funktioniere in Le Pens Denkwelt zu Ungunsten ihres Landes und bevorteile Deutschland, berichtet Jacob Ross, Frankreich-Experte der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP). Er und Czymmeck rechnen damit, dass die Energiepolitik zwischen den beiden größten Staaten der Europäischen Union zum Streitthema wird. „Marine Le Pen setzt sich für die französische Atomenergie ein und ist eine der schärfsten Kritikerinnen der deutschen Haltung. Gerade erst hat sie angekündigt, Frankreich vom europäischen Stromnetz abkoppeln zu wollen“, begründet Czymmeck diese Befürchtung.

Wenn Le Pen Deutschland den Stecker zieht, könnte das zum Bumerang werden

In der Vergangenheit habe Le Pens Partei stark die Energiepolitik genutzt, um Stimmung gegen Deutschland zu machen, erläutert Ross die Hintergründe. Sie habe den Anschein erweckt, „dass die französische Nuklearindustrie in Brüssel auf dem Altar der deutschen Energiewende politisch geopfert wurde“.

Deutschland ist einer der größten Abnehmer von Strom aus Frankreich. Le Pens Partei hält die dabei geltenden Preise für zu niedrig, will die eigene Bevölkerung jedoch in den Genuss geringerer Stromkosten bringen. Eine neue rechtsnationale Regierung in Frankreich müsste zahlreiche EU-Vereinbarungen brechen, wollte sie sich sofort aus den bisherigen Lieferverhältnissen zurückziehen. Sie hätte also entweder langwierige Verhandlungen in Brüssel oder heftige Geldstrafen vor sich.

Ross hält deshalb das Argument der derzeit noch amtierenden französischen Regierung für stichhaltig, dass „viele der groß angekündigten Rückzüge aus europäischen Mechanismen wie ein Bumerang zurückkommen würden“. Er sagt über das Kalkül von Le Pen und ihren Getreuen aber auch: „Konflikte mit dem Europäischen Gerichtshof werden in Kauf genommen, um den Wählern zu zeigen: Seht ihr, wir wollen, aber die EU lässt uns nicht.“ Frankreich werde künftig als Triebfeder der EU ausfallen, befürchtet das CEP.

Asylpaket aufschnüren, Rüstungsprojekte unter Druck

Vielmehr dürfte Le Pen sich darauf verlegen, aus Paris gegen EU-Politik zu opponieren, durch die sie Frankreich benachteiligt sieht. Ganz oben auf ihrer Liste stehen striktere europäische Einwanderungsregeln. Ins Europaparlament zog für ihre Partei der frühere Chef der europäischen Grenzschutzagentur Frontex ein, Fabrice Leggeri. Möglicherweise wird er sich dafür ins Zeug legen, das gerade erst mühsam geschnürte EU-Asyl- und Migrationspaket wieder aufzuschnüren.

Im bilateralen Verhältnis Frankreichs mit Deutschland kommt nach dem Urteil der KAS-Expertin Czymmeck unter einem künftigen RN-Premierminister Jordan Bardella die Rüstungskooperation unter Druck. Opfer könnten die gemeinsamen Projekte für Kampfflugzeuge und Kampfpanzer werden. Für Le Pen seien sie „eine absolute Verneinung der französischen strategischen Identität“. Nach früheren Positionierungen Le Pens und wegen ihrer mutmaßlichen Nähe zu Russland erscheint auch ungewiss, wie es mit Frankreich in der NATO und bei der Ukraine-Unterstützung weitergehen soll.

Muss Deutschland für Le Pens Schulden haften?

Deutschland könnte auch durch Rückwirkungen der Fiskalpolitik eines rechtsnational regierten Frankreichs auf die Euro-Zone betroffen sein. Darauf weist Ronja Kempin, Frankreich-Fachfrau der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), in einer Analyse hin. Darin heißt es: „Bereits nach der Ankündigung, das Parlament neu wählen zu lassen, sind französische Staatsanleihen unter Druck geraten.“ Die Schulden des Landes liefen seit Jahren aus dem Ruder. Kostspielige Sozialvorhaben der RN würden diese Situation verschärfen. Kempin urteilt: „Nervöse Märkte werden ihr Übriges tun, um Frankreich an die Schwelle der Zahlungsunfähigkeit zu bringen. Die EU wird sich also bald ernsthaft mit der Frage der gemeinsamen Schuldenhaftung befassen müssen.“ Deutschland hat eine solche Gemeinschaftshaftung als Regelfall bisher immer abgelehnt.

Uneinigkeit über Schulterschluss zwischen Le Pen und Meloni

Uneinig sind sich die Experten, ob die alte Achse Paris-Berlin demnächst durch einen Schulterschluss zwischen Le Pen und der italienischen Ministerpräsidentin Giorgia Meloni ersetzt werden könnte. Beide Populistinnen wollen ihren Ländern in der EU mehr Geltung verschaffen und den deutschen Einfluss zurückdrängen.

Das CEP hält eine neue Achse Paris-Rom für möglich: Die französischen Rechtsextremisten hätten immer wieder erklärt, „Frankreich aus der EU führen zu wollen. In der italienischen Regierungschefin Giorgia Meloni finden sie eine mächtige Verbündete“. Das offizielle RN-Programm enthält einen Austritt Frankreichs aus der EU nicht mehr. Czymmeck sagt dazu: „Auch wenn Le Pen heute nicht mehr für den Frexit wirbt, steht die euroskeptische Haltung von RN im Kontrast zu Meloni, die eher konstruktiv mit den EU-Institutionen arbeitet.“

„Weimarer Dreieck“ zwischen Paris, Berlin und Warschau unter Druck

Ob so eine solide Achse entstehen könnte, bleibt nach Czymmecks Meinung daher fraglich. Der DGAP-Experte Ross gibt jedoch zu bedenken, dass es in der Vergangenheit enge Kontakte zwischen den italienischen und französischen Rechtsaußen gegeben habe.  

Ross wie Czymmeck erwarten, dass die Zusammenarbeit im sogenannten „Weimarer Dreieck“ zwischen Deutschland, Polen und Frankreich unter einem Regierungswechsel in Paris leiden würde. „Das würde eher eine deutsch-polnische Veranstaltung werden“, prognostiziert Ross. Czymmeck kommt zu der Schlussfolgerung: „Deutschland und Polen könnte jetzt eine neue Schlüsselrolle zukommen, die sie jedoch ohne den dritten Partner im Boot wahrnehmen müssen.“

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