TAUSENDE IN DRESDEN DEMONSTRIEREN NACH ÜBERFALL AUF SPD-ABGEORDNETEN

Nach dem Angriff auf den deutschen SPD-Politiker Matthias Ecke haben nach Polizeiangaben rund 3000 Menschen in Dresden für Demokratie und gegen Gewalt demonstriert. Sie versammelten sich am Sonntagabend im Stadtteil Striesen. Dort war Ecke am Freitagabend von vier jungen Männern beim Aufhängen von Wahlplakaten zusammengeschlagen worden.

Auch die Veranstalter sprachen von rund 3.000 Menschen, die sich am Sonntagabend versammelten. Laut Polizei verlief die Versammlung friedlich.

Ostdeutschland habe 1989 die Demokratie erstritten und erkämpft, sagte Bundestagsvizepräsidentin Katrin-Göring-Eckardt (Grüne) zum Auftakt. „Und wir werden nicht weichen gegen diejenigen, die die Demokratie verächtlich machen.“ Und man werde erst recht nicht weichen, „wenn einer von uns Gewalt erfahren muss“, betonte die Politikerin. „Wir sind das Volk“, sagte Göring-Eckardt weiter. Unter den Teilnehmerinnen und Teilnehmern am Pohlandplatz waren unter anderem die Bundesvorsitzende der SPD, Saskia Esken, Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) und Sachsens Justizministerin Katja Meier (Grüne).

Drei weitere Tatverdächtige sind unbekannt

Am Sonntag hat sich ein 17-Jähriger der Polizei gestellt. Der Jugendliche teilte mit, dass er der Täter sei, der den Europaabgeordneten niedergeschlagen habe, wie das Landeskriminalamt (LKA) am Sonntag mitteilte. Er sei bisher noch nicht polizeilich in Erscheinung getreten.

Er befindet sich nicht in Gewahrsam, da nicht davon auszugehen sei, dass er untertauche, sagte eine Sprecherin des LKA. Die weiteren Ermittlungen würden zeigen, ob seine Aussage stimme. Die drei weiteren Tatverdächtigen sind weiterhin unbekannt. Die Ermittlungen dauern an.

Auch Wahlkampfhelfer der Grünen angegriffen

Ecke ist sächsischer SPD-Spitzenkandidat für die Europawahl. Der 41-Jährige war am Freitagabend von vier jungen Männern beim Aufhängen von Wahlplakaten in Dresden zusammengeschlagen worden. Er liegt seitdem im Krankenhaus und muss operiert werden.

Kurz zuvor hatte laut Polizei mutmaßlich dieselbe Gruppe in der Nähe bereits einen 28-jährigen Wahlkampfhelfer der Grünen angegriffen und verletzt. Laut Polizeiangaben vom Samstag werden die vier jungen Männer auf 17 bis 20 Jahre geschätzt. Zeugen zufolge seien sie dunkel gekleidet gewesen, hatte ein Polizeisprecher gesagt. Ein Zeuge habe sie dem rechten Spektrum zugeordnet.

Auch AfD ist Ziel von Angriffen

Auch die AfD ist Ziel von Angriffen: Im niedersächsischen Nordhorn wurde am Samstagmorgen ein AfD-Landtagsabgeordneter nach Polizeiangaben an einem Infostand geschlagen. In Dresden attackierten zwei 23-jährige Frauen und ein 28-jähriger Mann am Samstag unvermittelt einen Informationsstand der Partei und beschädigten Aufsteller, Plakate und einen Tisch, wie die Polizei am Sonntag mitteilte. Der Betreiber des Stands wurde nicht verletzt. Die Polizei stellte die Tatverdächtigen nach Hinweisen von Zeugen.

Zudem beschädigte laut Polizei eine Gruppe von 20 Jugendlichen in der Nacht zu Sonntag im Dresdner Stadtteil Striesen augenscheinlich wahllos 21 Wahlplakate der AfD, der FDP, der CDU und der Linken. Eine Zeugin rief die Polizei, die einen 17-Jährigen auf frischer Tat ertappte, als er in der Schandauer Straße - wo der Europaabgeordnete Ecke und ein Wahlkampfhelfer der Grünen angriffen wurden - ein Plakat der Linken zerstörte.

2019 vor allem AfD Ziel, nun die Grünen

Die Vorfälle von Dresden reihen sich ein in eine bundesweite Folge von Angriffen auf Parteimitglieder vor der Kommunal- und Europawahlen am 9. Juni. Erst am Donnerstagabend waren in Essen nach einer Grünen-Veranstaltung der Bundestagsabgeordnete Kai Gehring und sein Parteikollege Rolf Fliß nach eigenen Angaben attackiert und Fliß dabei geschlagen worden. Die grüne Bundestagsvizepräsidentin Katrin-Göring-Eckardt war vor einer Woche in Ostbrandenburg nach einer Veranstaltung aggressiv bedrängt und an der Abfahrt gehindert worden. Im niedersächsischen Nordhorn wurde am Samstagmorgen ein Landtagsabgeordneter der AfD nach Polizeiangaben an einem Infostand geschlagen.

Dabei hat sich die Zielgruppe der Angreifer in den vergangenen Jahren etwas verlagert: Waren noch 2019 vor allem Vertreter der AfD Ziel von Anfeindungen, so sind es nun die Grünen. Für die AfD wurden 2023 nach vorläufigen Zahlen bundesweit 478 Fälle aktenkundig, für die Grünen 1219. Für alle Parteien wurden von 2019 bis 2023 insgesamt 10 537 Straftaten gemeldet, wie aus einer Regierungsantwort auf eine Kleine Anfrage aus der AfD-Fraktion hervorgeht.

Innenministerin regt Sonderkonferenz an

Die Innenminister von Bund und Ländern sollen nach dem Willen der deutschen Innenministerin Nancy Faeser (SPD) schon sehr bald über Schutzmaßnahmen beraten. Laut „Tagesspiegel“ regte Faeser eine Sonderkonferenz in der neuen Woche an. Eine entsprechende Bitte habe sie an den derzeitigen Vorsitzenden der Innenministerkonferenz, Brandenburgs Ressortchef Michael Stübgen (CDU), gerichtet.

Am Samstag hatte Faeser bereits eine schnelle Einberufung einer Konferenz für dringlich erklärt. „Der Rechtsstaat muss und wird hierauf mit einem harten Vorgehen und weiteren Schutzmaßnahmen für die demokratischen Kräfte in unserem Land reagieren“, hatte sie mit Blick auf die Gewaltattacken auf die Politiker erklärt.

„Bei den jüngsten Angriffen müssen wir davon ausgehen, dass es sich um geplante Taten handeln. Dies ist eine neue Eskalationsstufe, die das erklärte Ziel der Einschüchterung hat.“
Georg Maier (SPD) 

Thüringens Innenminister Georg Maier (SPD) mutmaßte beim Redaktionsnetzwerk Deutschland: „Bei den jüngsten Angriffen gegen Personen, die zum Beispiel Wahlplakate anbringen, müssen wir davon ausgehen, dass es sich um geplante Taten handeln, die nicht spontan, sondern gezielt durchgeführt werden. Dies ist eine neue Eskalationsstufe, die das erklärte Ziel der Einschüchterung hat.“

Angesichts der Verletzungen löste der Angriff von Dresden besondere Empörung aus. „Dieser Ausbruch von Gewalt ist eine Warnung“, schrieb Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in einer Erklärung am Samstag. Er appellierte an alle, die politische Auseinandersetzung friedlich und mit Respekt zu führen, und forderte die Anhänger der liberalen Demokratie auf, gegen Angriffe parteiübergreifend zusammenzustehen.

Scholz: „Achselzuckendes Hinnehmen ist niemals eine Option“

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sagte in Berlin: „Die Demokratie wird von so etwas bedroht, und deshalb ist achselzuckendes Hinnehmen niemals eine Option.“ Bundesaußenministerin Annalena Baerbock schrieb auf der Plattform X, vormals Twitter: „Brutale Angriffe auf engagierte Demokrat*innen, Wahlkämpfer*innen & Politiker*innen sind Attacken auf das Fundament unserer #Demokratie: Freie Wahlen.“ Gewalt sei nie ein Mittel der Demokratie - egal aus welchem Spektrum.

Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) nannte die Attacken auf der Plattform X „schockierend“. Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) erklärte: „Sie sind der widerliche und unentschuldbare Ausfluss einer Verrohung von Sprache, Debatte und der Enthemmung in den sogenannten sozialen Medien.“ Finanzminister Christian Lindner (FDP) mahnte auf X: „Die Enthemmung der politischen Auseinandersetzung betrifft uns alle. Jeder kann der nächste sein. Deshalb sind wir auch alle gefordert, uns der Eskalation entgegenzustellen.“

Der AfD-Vorsitzende Tino Chrupalla, dessen Partei von einigen für eine Gewalt fördernde Atmosphäre verantwortlich gemacht wird, schrieb auf X: „Physische Angriffe gegen Politiker aller Parteien verurteilen wir zutiefst. Wahlkämpfe müssen inhaltlich hart und konstruktiv, aber ohne Gewalt geführt werden.“ (Ag.)

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