ZANK IM PROZESS GEGEN JIHADISTEN LORENZ K.: "NEHMEN SIE IHN IN IHRER KANZLEI AUF, WENN ER SO SUPER IST"

Als Lorenz K. (25) zu neun Jahren Haft verurteilt wurde, war er gerade einmal 19 Jahre alt. Die Bilder eines schmächtigen Burschen mit Goldkette gingen damals durch die Medien. Sechs Jahre später betritt ein durchtrainierter, glatzköpfiger Riese mit Ziegenbart kaugummikauend den Gerichtssaal, der all seine Sätze mit "Nee" beendet. Gefesselt mit einem Bauchgurt und umringt von bewaffneten Justizwachebeamten.

Im Jahr 2016 brachte Lorenz K. einen unmündigen Deutschen von Wien aus per Whatsapp-Chat dazu, sich mit einem selbstgebauten Sprengsatz zu einem Weihnachtsmarkt in Ludwigshafen (Rheinland-Pfalz) zu begeben, um sich dort in die Luft zu sprengen. Das wäre beinahe passiert, hätte die Zündung funktioniert. Dafür fasste K. seine Strafe aus.

Und offenbar machte der verurteilte Jihadist während seiner Strafhaft weiter. Lorenz K. hatte nicht nur ein illegales Smartphone, sondern erstellte gleich mehrere Instagram-Profile, um die Propaganda der Terroristen des sogenannten "Islamischen Staats" (IS) zu verbreiten und mit deren Anhängern Kontakt aufzunehmen. K. chattete dort im Sommer 2020 aber auch mit einer Person, die sich dort "Manfred Uhlendorff" nannte, vermutlich ein Deckname. Und diese Person soll K. per Chat dazu ermutigt haben, ein Selbstmordattentat zu begehen. DER STANDARD berichtete.

Anwalt übt Staatskritik

Neben Lorenz K. nahm ein 33-jähriger Häftling Platz. Der hatte laut seinem reichlich gefüllten Vorstrafenregister bisher eigentlich nichts mit Terrorismus am Hut. K. leitete ihm in Haft aber ein Video weiter, das aufzeigt, wie man "Kuffar", also Ungläubige, am besten umbringt. Der Zweitangeklagte machte den Fehler, die Aufnahme an einen Bekannten weiterzuleiten. Mit den Worten: "Ich küss dein herz. Schau neue Video ist draußen." Deshalb gilt auch der 33-Jährige für die Anklagebehörde als potenzieller IS-Anhänger – der möglicherweise von K. radikalisiert wurde.

Bei den Eröffnungsplädoyers war für kurze Zeit aber noch nicht klar, wer der Justizwache gerade mehr Probleme bereitet: die beiden Angeklagten oder Staatsanwalt und Verteidiger.

Anwalt Rudolf Mayer gab dem Staat nämlich indirekt die Schuld dafür, dass die beiden Jihadisten heute vor Gericht sitzen. Die Männer hätten erst im Gefängnis zum Islam gefunden, seien dort radikalisiert worden. Sein Mandant, der 33-Jährige, sei in Haft etwa auf Hassprediger Mirsad O. getroffen, der wegen IS-Rekrutierung eine Strafe von 20 Jahren ausfasste. Und warum haben Gefängnisinsassen überhaupt Handys, rief Mayer in den Saal: "Ein glattes Versagen."

"Der Name macht den Mann der Szene"

Staatsanwalt Johannes Winklhofer stand umgehend auf, wandte sich zu den Geschworenen: "Der Staat hat hier überhaupt keine Schuld." Der Jurist nannte Mayers Staatskritik despektierlich "Anwaltskitsch". Winklhofer wollte auch nicht einsehen, wie "so ein Lackl", also ein großer, stämmiger Mann, warum sich der 33-jährige Zweitangeklagte samt seiner strafrechtlichen Vorgeschichte – darunter versuchter Mord und Körperverletzung – nicht traue, zu Hasspredigern wie Mirsad O. in Haft einfach "Schleich dich!" zu sagen. Der Staat sei nicht ewig für Menschen wie diese verantwortlich, sagte Winklhofer: "Das sind keine Opfer, sondern Täter."

Daraufhin blafften Mayer und Winklhofer einander richtiggehend an. Die Richterin tat sich schwer damit, die beiden Herren wieder zu beruhigen. Mayer setzte sich lautstark für seinen Mandanten ein, den 33-Jährigen im Bunde, woraufhin Winklhofer zynisch entgegnete: "Dann nehmen Sie ihn in Ihrer Kanzlei auf, wenn Sie ihn so super finden." Dann entfuhr der Richterin endgültig: "Aus jetzt!" Die Verhandlung wurde für einige Minuten unterbrochen. Mayer verließ den Saal – und kam nicht wieder. Der Verteidiger ließ sich von einem Konzipienten vertreten.

Lorenz K. saß grinsend auf der Anklagebank. Dann hatte er seinen Auftritt. K. gab zu, in seiner Zelle über Instagram schaurigste IS-Propaganda geteilt zu haben – darunter beispielsweise Hinrichtungsvideos. Einem seiner Profile verpasste er sogar den Namen eines früheren offiziellen Kanals der Terroristen. Auch das Profilbild war ident. Warum, fragte die Richterin. "Der Name macht den Mann der Szene", sagte K. "Umso stabiler der Name, desto wissender wirkt man, diese tiefer wirkt man in der Szene."

K. versuchte sich als Naivling dazustellen. Als jemanden, für den der "Islamische Staat" einmal alles war, wie er sagt, für den er sogar zu sterben bereit gewesen sei. Gleichzeitig will er nie daran gedacht haben, dass die Propaganda auf seinen Kanälen dazu führen könnte, dass sich noch mehr Jugendliche radikalisieren: "Ich lag die ganze Zeit in meiner Zelle herum, gelangweilt und faul." Da wäre es nicht schlecht gewesen, über die eigene Strafe nachzudenken, warf einer der Richter ein. K. konnte dagegen nichts einwenden.

Es sei ihm um Anerkennung in der Szene der Jihadisten gegangen, die Sympathie für das alles sei obendrein noch da gewesen. Dabei erklärte K. auch die Grenzen der Deradikalsierungsarbeit in seinem Fall: "Es ist wie mit Drogen", erzählte der Angeklagte. "Eine Drogentherapie bringt nichts, wenn man weiter Drogen nimmt."

In der Emotion verzettelt

Aber K. verzettelte sich auch. Jener Person, die er mutmaßlich zu einem Selbstmordanschlag ermutigen wollte, schrieb er: "Du kannst eine amelia machen." Die Staatsanwaltschaft übersetzt "amelia" als Bombe. Auch weil K. den Begriff vor Jahren in einer Einvernahme selbst so verwendet hat. Jetzt aber spricht K. in dem Zusammenhang von "Operation", auch wenn er nicht sagen konnte, was das genau heißen würde. Ein chirurgischer Eingriff wird es wohl nicht sein.

Daraus entwickelte sich eine emotionale Debatte. Ein Richter warf ein: "Vielleicht denkt man wegen Ihrer Vorgeschichte daran, dass Sie einen Anschlag ansagen wollten." K. verneinte das zunächst damit, dass er seinem Chatpartner schon gesagt hätte, dass der eine Bombe bauen soll, wenn der Angeklagte das gewollt hätte. Und lieferte einen Satz mit Interpretationsspielraum nach: "Ich habe gewusst, dass er nicht bereit ist, einen Mord zu begehen."

Die manipulierte Unterhose

Der verurteilte Jihadist ließ sich im Laufe der Verhandlung auch immer wieder aus der Reserve locken. Vor allem die Fragen des Staatsanwalts schienen K. zu provozieren, was er ihm auch lautstark mitteilte. Als Winklhofer K. einige Minuten zum Begriff Kuffar (Ungläubige, Anm.) befragte, entlockte ihm der Jurist die Sager "Ich scheiß auf den IS" und "Aus Sicht des IS bin sogar ich ein Kuffar". Letzteres kommentierte Winklhofer trocken mit: "Seien Sie froh."

Der 33-jährige Zweitangeklagte sah sich vor allem fehl am Platz. Ja, er habe ein Propagandavideo weitergeschickt. Aber als Teil des "Islamischen Staats" will der Konvertit deshalb noch lange nicht gelten. Radikale Ideen will er nur zwei bis drei Monate vertreten haben. Das sei wie eine "starke Grippe" gewesen. Für die Richterin hatte er dennoch eine Information parat, die selbst K. etwas ungläubig blicken ließ.

Der Zweitangeklagte hatte sein illegales Handy in Haft nämlich in einer "manipulierten Unterhose" versteckt, wie er es nannte. Was das sein solle, fragte die Richterin. Auflösung: Der Häftling hat in einer seiner Unterhose einen Sack eingenäht, um sein Smartphone vor ungewollten Blicken zu schützen.

Die dreitägige Gerichtsverhandlung wird am 13. Mai fortgesetzt. (Jan Michael Marchart, 26.4.2024)

2024-04-26T15:33:50Z dg43tfdfdgfd