WARUM KICKL JETZT WIEDER DIE CORONA-KEULE SCHWINGT

Am Mittwoch dieser Woche schlug das Thema Corona-Pandemie und ihre Folgen nach längerer Pause wieder im Nationalrat auf. Die freiheitliche Abgeordnete Dagmar Belakowitsch brachte einen Entschließungsantrag ein: Die Parteien mögen sich gegen zwei zentrale Pläne der Weltgesundheitsorganisation WHO aussprechen – das Pandemieabkommen und die novellierten Internationalen Gesundheitsvorschriften, die beide am 24. Mai in Genf beschlossen werden sollen.

Pandemieabkommen

Der Plan für ein WHO-Pandemieabkommen ist aus den Erfahrungen der Corona-Pandemie heraus entstanden. Auf die von dem Virus ausgehende Gefahr waren viele Länder nicht vorbereitet gewesen, mit weltweit geschätzten 20 Millionen Toten als Ergebnis. Um für künftige gesundheitspolitische Herausforderungen gewappnet zu sein, sollen die Staaten künftig besser zusammenarbeiten. Auch die Internationalen Gesundheitsvorschriften will man entsprechend adaptieren.

Hinter diesen Vorhaben stünden diktatorische Absichten, argwöhnt man in der FPÖ. Entsprechend sind mehrere parlamentarische Anfragen des blauen Nationalratsabgeordneten Gerald Hauser aus dem vergangenen Jahr formuliert. Die WHO wolle die Souveränität der Staaten aushebeln und im Fall einer neuerlichen Gesundheitskrise die Menschenrechte außer Kraft setzen, schreibt er.

Staaten bleiben souverän

Ein Blick in die Zusammenfassung der jüngsten Verhandlungsrunde zum Pandemieplan auf der Webseite der WHO widerspricht Hausers Befürchtungen. In Artikel 3 des Abkommensentwurfs werden der "volle Respekt der Würde, Menschenrechte und fundamentalen Freiheiten aller Personen" sowie die "Souveränität der Staaten" garantiert.

Belakowitschs Antrag, den beiden Abkommen nicht zuzustimmen, blieb im Nationalrat in der Minderheit. Außerhalb der FPÖ schloss sich niemand an. Doch die Freiheitlichen haben sich damit zu einem für sie wichtigen Thema repositioniert. Im Vorwahlkampf für den Nationalrat und die EU haben sie sich als Gegner einer international akkordierten Gesundheitspolitik gezeigt. Als entschlossene Impf-und Maßnahmenskeptiker.

Auf Wählerstimmenfang

Was aber bringt ihnen das – zumal die Corona-Pandemie ja inzwischen laut einhelliger Expertenansicht in eine Endemie übergegangen ist? Die Antwort ist einfach: Es verspricht viele Wählerinnen- und Wählerstimmen.

Als in Österreich vor vier Jahren Proteste gegen die Verordnungen der Bundesregierung aufkamen, die Covid-19 eindämmen sollten, brachte das Alleinstellungsmerkmal, als einzige Partei radikal gegen die Maßnahmen zu sein, der FPÖ laut Umfragen viele neue Anhängerinnen und Anhänger ein. Jetzt, im Wahljahr, will die Partei diesen Zuspruch in Stimmen umwandeln – und tut im eigenen Interesse auch gut daran.

Auf "zehn bis 15 Prozent" schätzt Ralph Schallmeiner, grüner Bundesgesundheitssprecher aus dem während Corona schwurblerstarken Oberösterreich, das impf- und maßnahmenskeptische Segment in der heimischen Wählerschaft. Und auch David Pfarrhofer, Chef des Linzer Market-Marktforschungsinstituts sieht für die Blauen hier Erfolgsperspektiven.

Maßnahmenskepsis

Zwar haben laut Pfarrhofer im Oktober 2023 bei einer bundesweiten, repräsentativen Befragung rund 60 Prozent auf die Frage "Glauben Sie, dass die Pandemie überwunden ist, oder erwarten Sie eine weitere Welle und weitere Maßnahmen?" mit Nein geantwortet. Jedoch: Teile der Bevölkerung seien mit Maßnahmenskepsis durchaus wieder erreichbar.

Genau darum bemühen sich Parteichef Herbert Kickl und die Seinen nun – mit Vortragenden, die sich vom Faktischen radikal abgewandt haben, und Inhalten, die jeder Wissenschaftlichkeit entbehren. Seit Monaten etwa tourt Abgeordneter Hauser zusammen mit dem Tiroler Urologen Hannes Strasser durchs Land, organisiert vom Freiheitlichen Bildungsinstitut (FBI).

In Kleinstädten und Dörfern referieren Hauser und Strasser zur Frage "WHO-(Gesundheits)-Diktatur und Zusammenbruch des Gesundheitssystems?". So lautet auch der Untertitel eines von beiden verfassten Buches, des letzten einer ganzen Reihe. Titel: Die gestohlene Normalität. Die Wirkkraft der Veranstaltungen sei nicht zu unterschätzen, sagt der Grüne Schallmeiner. Im direkten Kontakt seien Maßnahmenskeptiker in der Bevölkerung besonders gut aufs Neue zu mobilisieren.

Prominenter Impfgegner

Exklusiv auf FPÖ TV wiederum, dem Youtube-Kanal der Freiheitlichen, wurde Freitag vor einer Woche eine opulente Abendveranstaltung mit Kickl und einem der prominentesten Impfgegner im deutschsprachigen Raum ausgestrahlt. Sucharit Bhakdi, deutscher Arzt mit thailändischen Wurzeln, breitete vor angemeldetem Publikum eine Stunde lang seine erwiesenermaßen falschen Theorien aus. Diese haben ihm unter anderem eine Sperre auf Youtube eingebracht.

Die Pocken- und die Polioimpfung seien unwirksam, sagte Bhakti etwa. Überhaupt könne nur gegen Bakterien, nicht aber gegen Viren geimpft werden. Genbasierte mRNA-Impfstoffe wie das Vakzin gegen Covid-19 wiederum seien "ein satanisches Programm, das Millionen Menschen geschädigt und verstümmelt hat". Die WHO setze auf diese Technologie und bedrohe damit die Menschheit. Anschließend gab er für die FPÖ eine Wahlempfehlung ab.

Kickl als Sektierer

Auch Parteichef Kickl holte an dem Abend weit aus. Von "dunken und finsteren Mächten" sprach er, die man "nicht durchkommen lassen" dürfe – und meinte damit offensichtlich die WHO. Dann gab er ein "heiliges Versprechen für ein Niemals-Wieder" ab. Ganz so, als ob eine erneute Einführung freiheitsbeschränkender Maßnahmen aktuell in Planung sei.

Das Ganze wirkte sektiererisch und aus dem Mund des führenden Vertreters einer Parlamentspartei einigermaßen irritierend. Laut dem Psychoanalytiker und Sozialpsychologen Klaus Ottomeyer ist es jedoch noch mehr als das. Die dezidierte Impfgegnerschaft samt Verteufelung der Vakzine sei "paranoid" und "gesundheitsgefährdend", sagt der emeritierte Professor der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt.

Das, sagt Ottomeyer, beschränke sich jedoch nicht nur auf das Körperliche – etwa, wenn eine Person, statt sich vorsorglich impfen zu lassen, auf Kickls Rat im Fall einer Covid-19-Erkrankung das Tierentwurmungsmittel Ivermectin schluckt. Auch die psychische Gesundheit vieler sei gefährdet.

Mit ihrer faktenfernen Ablehnung probater medizinischer Mittel schüre die FPÖ Ängste und Misstrauen. Gleichzeitig würden Regierungspolitiker und Andersdenkende in Reden Kickls regelmäßig mit Spott und Häme überzogen. "Das führt zu Entwürdigung und Stigmatisierung von Menschen." (Irene Brickner, 20.4.2024)

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