1.000 EURO STRAFE, WEIL KRANKER MIT DEM AUTO FUHR

Niko W. (37) bekommt Cannabinoid-Tropfen ärztlich verschrieben. Bei einer Polizei-Kontrolle wurde THC festgestellt – nun muss er Strafe zahlen.

Niko W. (37) hat alles versucht: Nach einem Autounfall im Jahr 2010 bekam der Niederösterreicher aus dem Bezirk Mödling massive Probleme mit den Bandscheiben: "Ich hatte seit 2014 drei Bandscheibenvorfälle und leide seitdem unter starken Schmerzen und massiven Einschlafproblemen", erzählt der Kfz-Mechaniker im Gespräch mit "Heute".

Neben physikalischer Therapie probierte der 37-Jährige auch zahlreiche unterschiedliche Schmerzmedikamente aus – darunter auch Opiate: "Doch die Präparate hatten bei mir alle starke Nebenwirkungen wie Magenschmerzen (trotz Magenschutz), starke Übelkeit bis zum Erbrechen, Zittern und massive Benommenheit", berichtet Niko W.

Im Oktober 2020 startete sein behandelnder Arzt, ein Orthopäde und Schmerztherapeut, daher einen Versuch und verschrieb ihm über die ÖGK Dronabinol-Tropfen – das Mittel enthält den illegalen Wirkstoff trans-D9-Tetrahydrocannabinol (THC), ein aktives Cannabinoid. In Österreich fällt das Medikament daher unter das Suchtmittelgesetz.

Und die Behandlung zeigte Erfolg: Mit den Tropfen wurden die Schmerzen verringert, die Einschlafdauer verkürzt, und Niko W. konnte endlich mindestens vier bis sieben Stunden lang durchschlafen: "Es war das Einzige, was wirklich geholfen hat." Doch die dauerhafte Einnahme wurde dem Niederösterreicher schließlich zum Verhängnis.

Am Nachmittag des 7. Juli 2022 geriet er in Eggendorf aufgrund eines Musik-Festivals in ein Planquadrat der Polizei. Nach einem Alko-Test (0,26 Promille) forderten die Polizisten auch mehrfach einen Urintest von ihm: "Darauf erklärte ich, dass ich gerne alle möglichen, medizinischen Untersuchungen über mich ergehen lasse, aber dann fahren wir bitte gleich zum Amtsarzt."

Doch die Beamten weigerten sich. Aufgrund des Drängens der Polizisten auf einen Urintest fühlte sich der 37-Jährige schließlich genötigt, sein Dronabinol-Rezept zu präsentieren. Er erklärte, dass er Schmerzpatient ist und wurde zum Amtsarzt gebracht, wo ihm Blut abgenommen wurde. Niko W. musste zahlreiche Tests (zum Beispiel in 7er-Schritten von 100 rückwärts zählen) über sich ergehen lassen. Der Bluttest fiel positiv auf THC aus.

Die Amtsärztin schrieb in ihrem Nachtragsgutachten: "Es zeigten sich zahlreiche auffallende körperliche und psychophysische Symptome, die auf eine Suchtgiftbeeinträchtigung schließen lassen." Zudem seien Abbausubstanzen festgestellt worden, "was auf länger dauernden, chronischen Suchtgiftmissbrauch hinweist". Niko W. dazu: "Die ärztlich verordnete Medikation mit Dronabinol hat die Amtsärztin, die übrigens keine Toxikologin ist, in ihrem Gutachten aber komplett ignoriert, obwohl sie das Rezept dazu bei ihrer Untersuchung am 7. Juli in ihren Händen hielt."

Der Niederösterreicher kann das Gutachten noch immer nicht fassen: "Ich werde gleich behandelt wie ein Drogenabhängiger, der seine Drogensucht auslebt. Aber ich bin Schmerzpatient! Das ist Diskriminierung aufgrund einer Krankheit. Viele Tausende Schmerzpatienten stehen täglich vor der gleichen Rechtsproblematik, welche seitens der Polizei und der Behörden 1:1 wie tatsächlicher Suchtgiftmissbrauch geahndet wird."

Dem 37-Jährigen wurde für einen Monat der Führerschein entzogen (aufgrund diverser Auflagen bekam er ihn aber erst nach 17 Monaten zurück). Zudem erhielt er wegen "des Lenkens eines Fahrzeuges in einem durch Suchtgift beeinträchtigen Zustand" und angeblicher Übermüdung eine Geldstrafe von über 1.000 Euro: "Die Medizin wurde geschaffen, um Menschen zu helfen und zu heilen. Wie kann es dann sein, dass ein Schmerzpatient wegen seiner verordneten Medizin zu einer Straftat verurteilt wird?", fragt sich Niko W.

Der Niederösterreicher suchte Hilfe beim Wiener Rechtsanwalt Piotr Pyka, dieser reichte Beschwerde beim Landesverwaltungsgericht NÖ ein – sie wurde jedoch abgelehnt. Der Jurist will mit dem Fall nun weiter an den Verfassungsgerichtshof, laut ihm stehen die Chancen gut.

"Wir haben es hier mit einem Präzedenzfall zu tun: Einerseits wissen wir aus jüngsten Erfahrungen in Deutschland, dass THC bei Langzeitkonsumenten auch wochenlang nach der Einnahme im Blut nachweisbar sein kann, obwohl es sich längst nicht mehr im Gehirn auswirkt und daher zu keiner Beeinträchtigung im Straßenverkehr führt.

Und weiter: "Andererseits zeigt der Fall von meinem Mandanten, dass Behörden und Verwaltungsgerichte diese Problematik nicht berücksichtigen und lediglich unreflektiert auf den THC-Wert im Blut abstellen. Das ist eine massive Ungleichbehandlung, die mein Mandant mit meiner Unterstützung vor dem Verfassungsgerichtshof bekämpfen will!", erklärt Pyka.

Der Rechtsanwalt kann sich auch den Gang zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) vorstellen: "Die derzeitige Rechtslage in Österreich bedeutet für Schmerzpatienten de facto ein Fahrverbot und widerspricht eklatant dem Grundrecht auf Achtung des Privatlebens, das im Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention verbrieft ist. Mein Mandant wird diesbezüglich notfalls vor den EGMR ziehen, um dieser Diskriminierung endlich ein Ende zu setzen", so Pyka weiter.

Bisher hat Niko W. insgesamt rund 7.000 Euro für die Causa ausgegeben – neben der Strafe und Anwaltskosten musste er etwa auch ein verkehrspsychologisches Gutachten, einen Psychiater, mehrere Urintests, die Blutuntersuchung und die Amtsärztin bezahlen. Zudem wurde beim Verfassungsgerichtshof Verfahrenshilfe beantragt, eine Entscheidung steht noch aus. Der Verbraucherschutzverein (VSV) will ihn nun unterstützen und hat daher ein Rechtshilfekonto eingerichtet.

"Der Fall ist exemplarisch für eine Gesetzeslücke, die für tausende Dronabinol-Patienten gefährlich ist. Es gibt – anders als bei Alkohol – keinen Grenzwert. Daher führen auch kleinste Mengen THC zu der falschen Annahme, man sei wegen Suchtgiftmissbrauchs fahruntüchtig. In einigen Fällen gelingt es bereits, bei der Polizei oder beim Amtsarzt durch eine Bestätigung durch den behandelnden Arzt, die Sache beizulegen. Doch es gibt auch Fälle wie diesen hier. Diese Entwicklung ist eine ständige Gefahr für Schmerzpatienten", meint VSV-Obfrau Daniela Holzinger-Vogtenhuber.

Im Jahr 2022 finanzierte die ÖGK Behandlungen für rund 15.600 Dronabinol-Patienten – darunter auch Krebs-Kranke oder Multiple-Sklerose-Betroffene: "Die Politik ist dazu aufgefordert, endlich die ideologischen Scheuklappen abzulegen und eine Lösung für tausende Schmerzpatienten zu schaffen, die täglich auf das Medikament Dronabinol zur Schmerzlinderung angewiesen sind und dies vom Arzt verschrieben bekommen haben. Als VSV unterstützen wir hier so gut es geht", so Holzinger-Vogtenhuber abschließend.

2024-05-07T03:53:54Z dg43tfdfdgfd