„DOPPELT BEDROHT“

Pressefreiheit

„Doppelt bedroht“

Anja Osterhaus von Reporter ohne Grenzen über Gefährdungen für Journalistinnen. Ein Interview.

Diskriminierung, Beleidigung, sexuelle Belästigung, Vergewaltigungsdrohung, Vergewaltigung – damit sind Journalistinnen weltweit konfrontiert. Sind Frauen in diesem Beruf besonders gefährdet?

Journalistinnen haben ein doppeltes Risiko: als Journalistin und als Frau. Sexismus wirkt sich in einem Land wie Deutschland oder Italien zwar anders aus als in Afghanistan – ist als Bedrohung aber weltweit präsent. Die Gefährdung zeigt sich auch an anderer Stelle. Es arbeiten weniger Frauen als Männer im Journalismus und auch weniger Frauen sind aktuell in Haft. Doch die Länge der Haftstrafen ist bei ihnen häufig erstaunlich hoch.

An welchen Tatorten sind Journalistinnen sexistischen Angriffen ausgesetzt?

Das ist sehr unterschiedlich. Da gibt es zum Beispiel den Fall in Italien, wo eine Journalistin bei einer Live-Übertragung von einem Fußballfan begrapscht wurde. Hinzu kam ein anderer Fan und rief: „Och, mach dir nichts draus.“ Die Männer wussten natürlich nicht, dass das über die Bildschirme lief. In diesem Fall gab es dann auch einen öffentlichen Sturm der Entrüstung und der Mann wurde verurteilt. Solche Übergriffe dürfen nicht zugelassen werden.

Wenn Reporterinnen bei Recherchen vor Ort besonders gefährdet sind – sollte man sie dann überhaupt hinschicken, wo es gefährlich werden kann?

Unbedingt! Nehmen wir nur mal die Berichterstattung aus Kriegs- und Krisengebieten. Frauen sind von diesen Extremsituationen in besonderer Weise betroffen und möchten ihre Geschichten meist nicht Männern erzählen....

...zum Beispiel wenn es um Kriegsverbrechen wie Vergewaltigung geht.

Davon würden sie einem Mann wahrscheinlich gar nicht berichten. Und selbst Frauen werden diese Verbrechen nur mit großen Hemmungen anvertraut. Deshalb ist es unglaublich wichtig, dass Frauen im Journalismus arbeiten können. Wer hört sonst die Stimme betroffener Frauen?

Da sagt ein Redaktionsleiter zu einer Kollegin: „Ich werde deinen Beitrag für morgen früh um sieben Uhr ansetzen, damit ich mir beim Zuhören im Bett einen runterholen kann.“ Auch Redaktionen sind also keineswegs ein geschützter Raum.

So etwas geschieht leider viel zu häufig – als wenn es nicht schon genügend Übergriffe außerhalb der Redaktionen gäbe. Das liegt sicher auch daran, dass die Chefredaktionen meist noch immer männlich besetzt sind. Das Bewusstsein, dass es MeToo auch in Medien gibt, ist viel zu wenig verbreitet.

Gibt es Themen und Bereiche, wo es für Frauen besonders diskriminierend wird?

Sport ist auf jeden Fall so ein Bereich. Aber auch über harte Themen wie Politik oder Wirtschaft durften Journalistinnen lange Zeit kaum berichten. Das hat sich keineswegs überall, aber immerhin hierzulande geändert.

In welchen Ländern ist es für Journalistinnen zur Zeit besonders übel? Afghanistan?

Ja, seit die Taliban an die Macht gekommen sind, haben 80 Prozent der Journalistinnen ihren Beruf aufgegeben. Die, die noch arbeiten können, müssen sich voll verschleiern. In Radiosendungen, bei denen mit Hörern gesprochen wird, dürfen keine Frauen mehr anrufen. Insgesamt werden die Stimmen der Frauen nicht mehr gehört. Nicht umsonst steht Afghanistan auf unserer Rangliste der Pressefreiheit auf dem drittletzten Platz.

Wenn Journalistinnen sexistisch bedroht und eingeschüchtert werden, geht es dann nur darum, sie mundtot zu machen?

Das ist sicher meistens das Ziel. Und bei Frauen wird Sexismus dabei häufig als Waffe eingesetzt. Es gibt diesen fürchterlichen Fall in Indien: Da wurde eine Investigativjournalistin über lange Zeit mit Vergewaltigung und Mord bedroht. Und irgendwann tauchte im Netz ein pornographisches Video auf, das angeblich sie zeigte – aber deep fake war. Das Video ging viral und hat sie so verletzt, dass sie zusammengebrochen ist. Auch so kann man eine kritische Stimme mundtot machen.

Lässt sich generell etwas über die Folgen für bedrohte Journalistinnen sagen?

Sexualisierte Gewalt hat ganz unterschiedliche Auswirkungen. Sie führt zu Stress, Angst, Depressionen. Viele der betroffenen Frauen ziehen sich aus dem Beruf zurück. Das Internet ist ein besonders gefährlicher Ort für Journalistinnen. Und was mich dabei besonders empört, ist das Verhalten von Redaktionen. Denn häufig werden Journalistinnen entlassen, wenn es ihnen nach Angriffen schlecht geht.

Gibt es denn einen Mehrwert von Frauen im Journalismus?

Einen enorm großen. Journalismus muss vielfältig sein. Und um nur einen Punkt zu nennen: Frauen kommen an andere Informationen heran. Sie haben oft eine andere Form der Kommunikation und hören anders zu. Auch dadurch können sie Menschen erreichen, die sich keinem Mann anvertrauen würden.

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