OBSTBAU IM TAL DER TRäNEN: FROSTNäCHTE ZERSTöRTEN DIE HäLFTE DER APFELERNTE

Um ein Uhr früh holte Fritz Prem der Alarm aus dem Bett. Seine Wetterstation schickte wie in den Nächten zuvor Frostwarnungen. Die Temperaturen auf seinen Apfelplantagen fielen auf unter null Grad. Prem startete Beregnungsanlagen, um Blüten und Fruchtknoten zu schützen. Erst um acht Uhr morgens war die Gefahr gebannt.

Prem bewirtschaftet in Kaindorf bei Hartberg 14 Hektar. In guten Jahren erntet er im Herbst rund 500 Tonnen Bioäpfel. Heuer werden es weniger als die Hälfte sein. Sechs Hektar konnte er dank seiner Wasserspeicher retten. Die restlichen acht fielen der eisigen Witterung der vergangenen zwei Wochen zum Opfer, nachdem ein ungewöhnlich warmer Februar und März die Bäume verfrüht austreiben ließ.

30 Jahre ist es her, dass er den Betrieb von seinem Vater übernahm, erzählt der steirische Obstbauer. In den 25 Jahren zuvor habe dieser gemäß seiner Aufzeichnungen nur einen einzigen völligen Ernteausfall infolge widriger Witterung erlitten. Er selbst hingegen erlebte allein seit 2016 fünf starke Einbußen bis hin zum Totalverlust.

Finanzieller Kraftakt

Auch wenn die von Frost oder Hagel zerstörten Flächen bei zwei von drei Obstbauern versichert sind, mündet dies in einem Nullsummenspiel. Der Schaden wird ersetzt, auf den laufenden Kosten ihrer Landwirtschaft bleiben die Betriebe jedoch sitzen. "Ein Einkommen ist damit nicht mehr drin", sagt Prem. Aus seiner Sicht ist ein finanzieller Kraftakt notwendig, um Bauern stärker vor den Folgen des Klimawandels zu bewahren. Derzeit seien nur fünf bis zehn Prozent der steirischen Obstflächen durch Frostberegnungsanlagen und ausreichend Wasser vor Kälteeinbrüchen geschützt. Die Bäume werden mit feinem Wassernebel besprüht. Sobald dieser gefriert, wird Wärme frei, die Blüten unter der Eisschicht am Leben erhalten.

Auch Öfen leisten im Obstanbau gute Dienste. Sie länger als zwei Nächte anzuheizen sei für Landwirte jedoch wirtschaftlich nicht tragbar, sagt Prem, der auch Präsident des Europäischen Bioobst-Forums ist. Für ihn führt an einem Investitionsschub mithilfe öffentlicher Gelder kein Weg vorbei. Andernfalls stiegen immer mehr Betriebe aus dem Anbau aus.

In der Steiermark wachsen 75 Prozent der österreichischen Äpfel heran. Die Hälfte wird gemeinhin exportiert. Heuer dient wohl die gesamte Ernte dazu, die Nachfrage der Österreicher zu decken, ergänzt um Importe aus Südtirol. Europaweit deckt Polen ein Drittel des Bedarfs an Äpfeln. Seine Plantagen wurden von den Wetterkapriolen nicht verschont: 40 Prozent der Ernte sollen zerstört sein. Prem rechnet für die Konsumenten mit Preissteigerungen von 30 bis 40 Cent pro Kilo. Diese machten die finanziellen Verluste seiner Branche durch den Frost freilich nicht wett. "Dafür müssten sich die Preise für Äpfel verdoppeln."

56 Millionen Euro Schaden

Die Österreichische Hagelversicherung beziffert den bisherigen Schaden der Landwirtschaft durch Frost mit 56 Millionen Euro. 44 Millionen betreffen den Obstbau, zwölf den Weinbau. Kalt erwischt hat es vor allem die Steiermark, die innerhalb von zwei Wochen Verluste in Höhe von 37 Millionen Euro einfuhr. Der Landwirtschaftskammer zufolge ist die Hälfte des steirischen Obstanbaus in Mitleidenschaft gezogen. Prem schätzt die Ernteausfälle bei Äpfeln im Süden auf 40 bis 50 Prozent. In nördlicheren Gefilden drohten Einbußen von bis zu 80 Prozent.

Zur Einordnung: Im Jahr zuvor belief sich der Schaden im Frühjahr auf 35 Millionen Euro, rechnet Mario Winkler, Sprecher der Hagelversicherung, vor. Über die vergangenen acht Jahre waren es in Summe 400 Millionen Euro. Für die Hälfte davon sorgte das Katastrophenjahr 2016. Später Schnee und Hagelstürme führten damals zur kleinsten Weinernte seit 50 Jahren. Statt 140 Äpfeln fanden sich im Schnitt nur 15 auf einem Baum. Fünf von ihnen waren deformiert und somit als Tafelobst unverkäuflich.

Winkler geht infolge der extremen Wetterereignisse von einem Strukturwandel der Landwirtschaft aus. In Österreich seien tiefe Lagen, in denen sich die Kälte sammle, benachteiligt. Obstanbau in bisheriger Form werde es dort auf längere Sicht vielerorts nicht mehr geben.

Neben Äpfeln vernichtete der jüngste Frost auch Steinobst wie Kirschen, Marillen, Zwetschgen und Pfirsiche. Österreichs größter Produzent von Biokirschen ist Hannes Ponhold. Auf fünf Hektar lässt er sie im Ilztal in der Steiermark reifen. Die Fläche ist auf eine jährliche Ernte von zwölf bis 15 Tonnen ausgelegt. Eingefahren hat er diese jedoch erst einmal. In vielen Jahren seien ihm gerade einmal zwei bis drei Tonnen geblieben, alles andere zerstörte der Frost, zieht Ponhold ernüchtert Bilanz. "Würden wir nur von Kirschen leben, gäbe es unseren Betrieb schon lange nicht mehr."

Sieben Nächte im Einsatz

Heuer gelang es ihm, das sensible Rosengewächs vor der Kälte durch Öfen unter einem Dach aus Folien weitgehend zu schützen. Doch der Preis dafür war hoch. An sieben Nächten sei er im Einsatz gewesen, teils habe er die Frostöfen pro Nacht zweimal in Betrieb nehmen müssen. Selbst wenn er seine Ernte dadurch rettete, gehe sich das finanziell nicht mehr aus. "Aber wir können nach all den Investitionen auch nicht einfach mittendrin aufgeben." Supermärkte verkauften Kirschen hierzulande um bis zu 18 Euro das Kilo. Das sei das Dreifache dessen, was Landwirte dafür vom Handel erhielten, rechnen Agrarexperten vor. Der Druck auf kleine Produzenten sei enorm.

Was tun, wenn eisige Kälte in Zukunft zusehends auf zu frühe Vegetation trifft? Auch seinen Kirschen würde neben Öfen eine Frostberegnung unter den Baumkronen helfen, sagt Ponhold. Doch Wasser ist ein begehrtes Gut und liegt mehr denn je im Spannungsfeld konträrer gesellschaftlicher Interessen. Speicherteiche anzulegen und Wasser über mehrere Grundstücke zu pumpen, erlebte Ponhold als bürokratischen Spießrutenlauf. An die 120 Seiten dick seien die Unterlagen zur Einreichung dieser Projekte. Die Planung erfordere eineinhalb Jahre, die Genehmigung gut drei Jahre. "Wer tut sich das noch an?" (Verena Kainrath, 26.4.2024)

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