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Guten Morgen!

Vorige Woche war die Aufregung wieder einmal groß. Sozialminister Johannes Rauch präsentierte den aktuellen Sozialbericht. Der Bericht erscheint seit 1967 alle paar Jahre und gibt einen Überblick über das Ausmaß von Armut und Benachteiligung in Österreich. Laut Homepage des Ministeriums kostete die Erstellung des Berichts rund 130.000 Euro. Er besteht aus zwei Bänden, wovon sich der erste mit den sozialpolitischen Aktivitäten der Ministerien beschäftigt. 

Der zweite, für Journalisten wesentlich interessantere Teil, setzt sich wissenschaftlich mit der Zukunft des Sozialstaats auseinander. Er ist mehrere Hundert Seiten stark und sehr  lesenswert – und erfuhr dennoch ein Schicksal, das für die österreichische Debattenkultur leider typisch ist: Am Ende blieben nur einige wenige Schlagzeilen übrig. „1,3 Millionen Menschen in Österreich sind armutsgefährdet”, lautete eine, „Armutsbekämpfung stagniert”, eine andere, „kein Fortschritt im Kampf gegen Armut”, eine weitere. 

Die Volkshilfe leitete aus dem Bericht ab, dass die Armutsbekämpfung eine „Mammutaufgabe” für die nächste Regierung sein werde, und die Caritas, dass es eine „echte Sozialstaatsreform” brauche. 

Die Debatte über Armut, wie sie bei uns geführt wird, führt leider nirgendwo hin. Weil sie weitgehend faktenbefreit ist. Über die Tücken der Bemessung von Armut an relativen Einkommenszahlen hat „Die Presse” hinreichend berichtet, zum Beispiel hier. Einer, der diese Tücken immer wieder betont, ist der Ökonom und Fiskalrat-Chef Christoph Badelt. „Es ist ein großer Unterschied, ob ein Student von einem niedrigen Einkommen lebt und jeden dritten Tag zu seinen Eltern mittagessen geht oder eine alleinerziehende Mutter, die sich hinten und vorn nicht raussieht”, sagte er mir. Seit Jahr und Tag weist er darauf hin, dass diese relative Armutsmessung „für die Politik gegen Armut völlig aussagelose Zahlen” liefere. Und am Ende reden trotzdem alle, vom Sozialminister abwärts, wieder nur über diese Zahlen.

Tatsächlich finden sich im Sozialbericht höchst interessante Zahlen, so man sie denn finden will. Ein ganzes Kapitel ist der Kinderarmut in Österreich gewidmet. Österreich habe seit 2014 bei der Reduktion von kinderspezifischer materieller Deprivation (das ist die tatsächliche, manifeste Armut) „erhebliche Fortschritte gemacht”, schreiben Ökonomen der OECD. Besonders gut schneide Österreich bei der Sicherstellung des Zugangs zu grundlegenden Gütern wie Nahrung und Kleidung ab

Nur ein Prozent der Kinder in Österreich war zuletzt von „Nahrungsdeprivation” betroffen, sie lebten also in einem Haushalt, in dem mindestens ein Kind nicht wenigstens einmal am Tag Obst und Gemüse oder eine Mahlzeit mit Fleisch, Huhn oder Fisch (oder eine vergleichbare vegetarische Alternative) erhielt. Das sind natürlich immer noch zu viele Kinder, die nicht ausreichend ernährt werden. Nur wird anhand dieser Zahlen endgültig klar, dass das Bild, das zum Beispiel die SPÖ in Person ihres Chefs, Andreas Babler, verbreitet, nichts mit der Realität zu tun hat. Kinderarmut ist in Österreich zum Glück die große Ausnahme und kein Massenphänomen. 

Auch mein Kollege Jakob Zirm hat sich in den Sozialbericht vertieft. In einem Kapitel sprechen sich Ökonomen der Oesterreichischen Nationalbank (OeNB) für Vermögen- und Erbschaftssteuern aus, mit abenteuerlichen Begründungen. Kostprobe: „Die Heuchelei, die Familie als gemeinsame Wertebastion zu feiern und deswegen gegen eine Erbschaftssteuer zu sein, kann die dynastische Macht der Vermögenden gut absichern“, schreiben sie. Dass vermeintlich unabhängige Experten im Namen der Nationalbank ihre Ideologie verbreiten, sei problematisch, schreibt Zirm im Leitartikel. 

Herzlich, Ihre

Jeannine Hierländer

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